Beschluss: Abstimmungsergebnis:

Abstimmung: Ja: 14, Nein: 0

Sachverhalt:

Mit Schreiben vom 23.06.2020 ging folgender Antrag bei der Gemeindeverwaltung ein:

„Antrag an die Gemeinde Niedernberg: Anleinpflicht für Hunde

Hiermit beantragen wir für Hunde auf öffentlichem Gelände (Gehwege, Spielplätze, das Schulgelände) eine Leinenpflicht zu veranlassen.

Zur Begründung:

Gehäuft laufen Hunde (auch sehr große Hunde) ohne Leine auf dem Gehweg, auf dem Schulgelände und vermehrt auch in der Pfarrer-Seubert-Straße (Schulweg vieler Kinder) wahrscheinlich wegen der Nähe zum Feld.

Einige Kinder (auch meine Tochter) haben panische Angst vor Hunden und, wenn diese auf sie zulaufen, sie anspringen oder einfach an ihnen schnuppern fangen sie an zu weinen haben richtig Angst. Mehrmals schon musste ich meine Tochter zur Schule begleiten, da sie sich nicht traut auf dem Gehsteig zu bleiben, wenn ihr Hunde ohne Leine entgegenkommen und die Besitzer es auch nicht einsehen, die Hunde an die Leine zu nehmen. Gestern erst kam sie tränenüberströmt vom Schulspielplatz, weil ein großer Hund sie wieder einmal angesprungen hat.

Ich beobachte dies nun schon seit geraumer Zeit, habe mehrfach versucht bei den Hundebesitzern Einsicht zu erlangen, aber ohne Erfolg. Ich möchte sie deshalb bitten, den Antrag zu bewilligen. Es werden noch weitere Personen aus Niedernberg (Eltern) diesen Antrag unterschreiben.“

 

 

In Art. 18 des Landesstraf- und Verordnungsgesetzes wird das Halten von Hunden geregelt:

Art. 18 LStVG

(1) 1Zur Verhütung von Gefahren für Leben, Gesundheit, Eigentum oder die öffentliche Reinlichkeit können die Gemeinden durch Verordnung das freie Umherlaufen von großen Hunden und Kampfhunden im Sinn des Art. 37 Abs. 1 Satz 2 in öffentlichen Anlagen sowie auf öffentlichen Wegen, Straßen oder Plätzen einschränken. 2Der räumliche und zeitliche Geltungsbereich der Verordnung ist auf die örtlichen Verhältnisse abzustimmen, wobei auch dem Bewegungsbedürfnis der Hunde ausreichend Rechnung zu tragen ist.

(2) Zum Schutz der in Absatz 1 genannten Rechtsgüter können die Gemeinden Anordnungen für den Einzelfall zur Haltung von Hunden treffen.

(3) Mit Geldbuße kann belegt werden, wer vorsätzlich oder fahrlässig einer auf Grund des Absatzes 1 erlassenen Verordnung oder einer auf Grund des Absatzes 2 erlassenen vollziehbaren Anordnung zuwiderhandelt.

 

 

In Nr. 18 des Vollzugs des Landesstraf- und Verordnungsgesetzes (VollzBekLStVG) sind nähere Bestimmungen hierzu geregelt:

18. Halten von Hunden

18.1 Als große Hunde können Hunde mit einer Schulterhöhe von mindestens 50 cm angesehen werden. Zu den großen Hunden gehören u. a. erwachsene Hunde der Rassen Schäferhund, Boxer, Dobermann, Rottweiler und Deutsche Dogge.

18.2 Einschränkungen des freien Umherlaufens können durch Verordnung generell für alle großen Hunde und Kampfhunde oder differenziert für einzelne Rassen oder Gruppen von Hunden bestimmt werden. Insbesondere kommt die Festlegung von Anleinpflichten in Frage. Dabei kann die zulässige Höchstlänge von Leinen bestimmt werden. Es empfiehlt sich die Festlegung, dass nur reißfeste Leinen verwendet werden dürfen. Als Grundlage für die Einführung eines Maulkorbzwangs kommt Absatz 1 nicht in Betracht.

Der räumliche und zeitliche Geltungsbereich der Verordnung ist auf die örtlichen Verhältnisse abzustimmen. Dabei kommt insbesondere eine Begrenzung auf bestimmte öffentliche Anlagen, Wege, Straßen oder Plätze (z. B. Fußgängerzonen) in Betracht. In größeren zusammenhängenden Siedlungsbereichen gebietet der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, in ausreichendem Maße geeignete öffentliche Flächen vom Leinenzwang auszunehmen, um dem Bewegungsbedürfnis der Hunde Rechnung zu tragen (vgl. § 2 Nr. 2 Tierschutzgesetz in der Fassung der Bek vom 18. August 1986 (BGBl I S. 1319), zuletzt geändert durch Gesetz vom 20. August 1990 (BGBl I S. 1762). Für besonders empfindliche Bereiche (z. B. den näheren Umgriff von Kinderspielplätzen) kann das Mitführen von großen Hunden und Kampfhunden ganz ausgeschlossen werden.

Von der Geltung der Verordnung sind auszunehmen

a) Blindenführhunde,

b) Diensthunde der Polizei, des Strafvollzugs, des Bundesgrenzschutzes, der Zollverwaltung, der Bundesbahn und der Bundeswehr im Einsatz,

c) Hunde, die zum Hüten einer Herde eingesetzt sind,

d) Hunde, die die für Rettungshunde vorgesehenen Prüfungen bestanden haben und als Rettungshunde für den Zivilschutz, den Katastrophenschutz oder den Rettungsdienst eingesetzt sind, sowie

e) im Bewachungsgewerbe eingesetzte Hunde, soweit der Einsatz dies erfordert.

Weist die Gemeinde im räumlichen Umgriff durch Anschläge oder Zeichen auf die Verordnung gesondert hin, so ist auch auf die Ausnahmeregelung zugunsten der Blindenführhunde hinzuweisen.

18.3 Absatz 2 enthält die Befugnis für den Erlass von Einzelfallanordnungen zum Halten von Hunden (z.B. Anleinpflicht, Maulkorbpflicht, Schließvorrichtungen und Warnschilder am Grundstück). Der Erlass von Einzelfallanordnungen ist für alle Hunde möglich. Einzelfallanordnungen, die über das Halten hinausgehen (z. B. Wegnahme oder Tötung des Hundes), sind dagegen auf Art. 7 Abs. 2 zu stützen.

 

 

Der Erlass einer Einzelfallanordnung nach Art. 18 Abs. 2 LStVG, in welcher eine Regelung zur Haltung eines bestimmten Hundes getroffen werden könnte, kommt hier nicht in Betracht, da es sich nicht um einen konkreten Hund handelt. Dementsprechend käme nur der Erlass einer Verordnung in Betracht. Hierfür müssen die nachfolgenden Punkte gegeben sein.

 

Formelle Rechtmäßigkeit

1.      Zuständigkeit

a.     Sachlich:

Nach Art. 6 Landesstraf- und Verordnungsgesetz (LStVG) ist die Gemeinde Sicherheitsbehörde. Sie hat die Aufgabe die öffentliche Sicherheit und Ordnung durch Abwehr von Gefahren und durch Unterbindung und Beseitigung von Störungen aufrechtzuerhalten. Bei der Anleinpflicht könnte sich die Gemeinde auf Art. 18 Abs. 1 LStVG stützen. Bei der vorliegenden Situation, dass die Kinder Angst vor den frei umherlaufenden Hunden im öffentlichen Bereich (Gehwege, Spielplätze, Schulgelände) haben, handelt es sich um eine abstrakte Gefahr. Abstrakte Gefahr bedeutet, dass durch die Sachlage nach allgemeiner Lebenserfahrung Gefahren im Einzelfall entstehen könnten (konkrete Gefahr) oder es zu einer Störung (zur Wirklichkeit gewordene Gefahr) kommen könnte. In diesem Fall kann die entsprechende Behörde handeln, sie muss aber nicht. Zudem ist das Subsidiaritätsprinzip zu beachten. Diese besagt, dass soweit wie möglich die Aufgabe von der unteren Ebene bzw. kleinsten Einheit wahrgenommen werden soll. Somit ist die Gemeinde in dieser Situation sachlich zuständig.

b.     Örtlich:

Die örtliche Zuständigkeit ergibt sich aus Art. 22 Abs. 1 GO. Dieser besagt, dass die Gemeinde das Gemeindegebiet und seine gesamte Bevölkerung umfasst. Damit ist die Gemeinde Niedernberg örtlich zuständig.

c.     Funktionell:

Funktionell zuständig ist der Gemeinderat der Gemeinde Niedernberg (Art.42 Abs. 1 Satz 1 LStVG, § 2 Nr. 8 der Geschäftsordnung für den Gemeinderat der Gemeinde Niedernberg).

 

2.      Ordnungsgemäße Beschlussfassung

Die Verordnung müsste in einer ordnungsgemäßen Gemeinderatssitzung beschlossen werden (Art. 45 ff. GO).

 

3.      Ordnungsgemäße Bekanntmachung

Nach Art. 51 Abs. 1 LStVG i. V. mit Art. 26 Abs. 2 GO sind Verordnungen auszufertigen und im Amtsblatt der Gemeinde Niedernberg amtlich bekanntzumachen.

 

4.      Zitiergebot

In der Verordnung sollte ein Einleitungssatz mit der Ermächtigungsgrundlage (Art. 18 Abs. 1 LStVG) enthalten sein (Art. 45 Abs. 2 LStVG)

 

 

Materielle Rechtmäßigkeit

1.      Befugnisnorm

Durch die Anleinpflicht würde man in die Rechte der Bürger eingreifen. Wenn man in Rechte eingreift, braucht man immer eine gesetzliche Ermächtigung (Gesetzmäßigkeit der Verwaltung – kein Handeln ohne Gesetz). In diesem Fall findet sich keine gesetzliche Ermächtigung in anderen Rechtsvorschriften außerhalb des Landesstraf- und Verordnungsgesetz, jedoch innerhalb des Gesetzes, nämlich im Art. 18 Abs. 1 LStVG. Im Art. 18 Abs. 1 LStVG ist geregelt, dass die Gemeinden zur Verhütung von Gefahren für Leben, Gesundheit, Eigentum oder die öffentliche Reinlichkeit durch eine Verordnung das freie Umherlaufen von großen Hunden und Kampfhunden in öffentlichen Anlagen sowie auf öffentlichen Wegen, Straßen oder Plätzen einschränken kann. Unter großen Hunden versteht man Hunde, die eine Schulterhöhe von mindestens 50 cm haben. Kleinere Hunde die unter die 50 cm Grenze fallen, sind nicht von der Verordnung betroffen. Kampfhunde sind Hunde, bei denen auf Grund rassespezifischer Merkmale, Zucht oder Ausbildung von einer gesteigerten Aggressivität und Gefährlichkeit gegenüber Menschen oder Tieren auszugehen ist (Art. 37 Abs. 1 Satz 2 LStVG). Kampfhunde sind in Niedernberg aktuell nicht gemeldet. Vorliegend soll die Gemeinde das freie Umherlaufen von Hunden im öffentlichen Bereich der Gemeinde durch Verordnung einschränken. Eine abstrakte Gefahr wird bei Hunden grundsätzlich angenommen. Eine abstrakte Gefahr genügt zum Erlass einer Verordnung.

 

2.      Bestimmtheit

Die Verordnung muss räumlich (Art. 51 Abs. 3 LStVG) sowie inhaltlich (Art. 37 Abs. 1 BayVwVfG) hinreichend bestimmt sein. Die räumliche Bestimmtheit der Verordnung könnte man z. B. durch eine Karte festlegen, die die Grenzen des Bereichs, in welchem die Anleinpflicht gilt, festlegt. Es bedarf einer räumlichen Abgrenzung, eine allgemeine Anleinpflicht im gesamten Ort würde dem Bewegungsbedürfnis der Hunde entgegenstehen.

Weiterhin könnte die Anleinpflicht auf die Schulzeiten beschränkt werden.

Die inhaltliche Bestimmtheit der Verordnung könnte z. B. so bestimmt werden, dass die Schulterhöhe des Hundes mindestens 50 cm haben muss und die Hunde an einer 1,50 Meter langen reisfesten Leine mit einem schlupfsicheren Halsband angeleint werden müssen.

Auf den Spielplätzen sind bereits Schilder angebracht, dass Hunde dort nicht erlaubt sind. Der Gemeindeverwaltung liegen keine Erkenntnisse vor, dass es in diesen Bereichen zu Problemen kommt.

 

3.      Verhältnismäßigkeit

Die Maßnahme, die getroffen werden soll, muss immer verhältnismäßig sein, d. h. sie muss geeignet, erforderlich und angemessen sein (Art. 8 LStVG). Eine Maßnahme ist geeignet, wenn mit ihr das gewünschte Ziel erreicht werden kann. Durch das Anleinen der Hunde wird das Ziel erfüllt, dass die Kinder nicht mehr von den frei umherlaufenden Hunden angesprungen oder beschnuppert werden. Somit wäre die Maßnahme geeignet. Erforderlich bedeutet, dass die Maßnahme mit dem mildesten Mittel erreicht werden soll. Um das Ziel zu erreichen, könnten Hunde z. B. grundsätzlich das eigene Grundstück nicht mehr verlassen dürfen. Dies würde ein härteres Mittel als die Anleinpflicht darstellen. Dementsprechend ist die Anleinpflicht der Hunde die mildeste Maßnahme. Eine Maßnahme ist angemessen, wenn die Nachteile, die mit der Maßnahme verbunden sind, im Verhältnis zu den Vorteilen, die sie mit sich bringt, steht. Der Vorteil ist das gefahrlose Bewegen der Bürgerinnen und Bürger in dem bestimmten Gebiet. Der Nachteil ist, dass die Bewegungsfreiheit der Hunde mit einer Schulterhöhe über 50 cm in diesem Gebiet nicht mehr gegeben ist. Hunde unter 50 cm Schulterhöhe fallen hierunter nicht.

 

4.      Inkrafttreten

Die Verordnung tritt zu dem Zeitpunkt in Kraft, welcher in der Verordnung bestimmt wurde (Art. 50 Abs. 1 LStVG). Frühestens eine Woche nach ihrer Bekanntmachung (Art. 26 Abs. 1 GO).

 

5.      Bewehrung

Eine Zuwiderhandlung gegen eine Verordnung kann mit Geldbuße bestraft werden. Ob und wie eine Zuwiderhandlung mit Geldbuße belegt wird, liegt im pflichtgemäßen Ermessen der jeweiligen Gemeinde (Opportunitätsprinzip; § 47 Abs. 1 OWiG). Grundsätzlich kann nur vorsätzliches Handeln geahndet werden, es sei denn das Gesetz bedroht fahrlässiges Handeln ausdrücklich mit Geldbuße (§ 10 OWiG). Art. 18 Abs. 3 LStVG regelt vorsätzliches und fahrlässiges Handeln, so dass auch Fahrlässigkeit geahndet werden kann. Die Höhe der Geldbuße kann mindestens fünf Euro und höchstens eintausend Euro betragen (§ 17 OWiG).

Eine Verordnung macht nur dann Sinn, wenn die Einhaltung entsprechend kontrolliert wird und Verstöße dagegen geahndet werden.

 

6.      Geltungsdauer

In einer bewehrten Verordnung soll eine Geltungsdauer festgesetzt werden. Diese darf jedoch nicht mehr als 20 Jahre sein. Setzt man keine oder eine längere Geltungsdauer fest, gilt die Verordnung für 20 Jahre (Art. 50 Abs. 2 LStVG).

 

 

Es liegt im pflichtgemäßen Ermessen der Gemeinden zu entscheiden, ob sie zur Gefahrenabwehr im Wege des Verordnungserlasses oder nur (bei Vorliegen der engeren Voraussetzungen) durch Einzelfallanordnungen nach Art. 18 Abs. 2 LStVG tätig werden. Es besteht keine Pflicht, aus Gleichbehandlungsgründen eine abstrakt-generelle Regelung für alle großen, kräftigen Hunde zu treffen anstatt bei Vorliegen konkreter Gefährdungssituationen sicherheitsbehördliche Anordnungen nach Art. 18 Abs. 2 LStVG zu verfügen (BayVGH BeckRS 2012, 47037 Rn. 29) (Ausschnitt aus BeckOK Polizei- und Sicherheitsrecht Bayern, Möstl/Schwabenbauer 12. Edition, Stand 01.02.2020).

 

Der Gemeinderat hat sich mit diesem Sachverhalt bereits am 24.07.2012, sowie am 11.09.2012, auseinandergesetzt ohne einen Beschluss zu fassen.

 

Der Gemeindeverwaltung sind keine weiteren Meldungen über Vorfälle mit Hunden bekannt. Auch seitens der Mittagsbetreuung waren bisher keine Auffälligkeiten rund um das Schulgebäude zu verzeichnen.

Ein Vorfall, bei welchem sich vor Kurzem ein Kind, welches Angst vor Hunden hat, durch das Wegrennen vor einem Hund verletzte, wurde zwischen den Beteiligten direkt geklärt und zielte auch nur auf einen konkreten Hund ab.

Bei einem Problem mit einem konkreten Hund können im Rahmen der Verhältnismäßigkeit Einzelfallanordnungen getroffen werden.

 

Der Gemeinderat muss entscheiden, ob eine entsprechende Verordnung erlassen werden soll.


Beschluss:

Die Gemeinde Niedernberg erlässt keine Verordnung über das Einschränken des freien Umherlaufens von großen Hunden und Kampfhunden.